Mitverschuldensquote bei einem Auffahrunfall mit Beteiligung

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Mitverschuldensquote bei einem Auffahrunfall mit Beteiligung

Beitragvon dehenner » 11.07.2008, 18:13

Sorry, ist ellenlang, aber sonst versteht man's nicht. (Aus ADAC online)

Sachverhalt:
Der Kläger befuhr mit seinem Motorrad eine Bundesstraße hinter einem Pkw Kombi. Auf gerader Strecke kam ihnen ein Autotransporter entgegen. Hinter diesem scherte der Beklagte mit seinem Pkw aus und setzte zum Überholen an.

Um einen Frontalzusammenstoß mit dem Pkw des Beklagten zu verhindern, musste der dem Kläger vorausfahrende Fahrzeugführer sein Fahrzeug im Rahmen einer Gefahrenbremsung abbremsen. Der Kläger bremste sein Motorrad ebenfalls ab. Es gelang ihm jedoch nicht, sein Fahrzeug rechtzeitig zum Stehen zu bringen, stattdessen rutschte er auf das voranfahrende Fahrzeug auf, wurde aus dem Sattel gehoben und auf die Gegenfahrbahn geschleudert.

Aufgrund eines ebenfalls eingeleiteten Bremsmanövers gelang es dem Fahrer des Fahrzeugtransporters, diesen zum Stehen zu bringen. Der Beklagte konnte daher knapp vor dem entgegenkommenden Fahrzeug wieder auf seine Fahrbahn einscheren. Hierdurch wurde ein Frontalzusammenstoß vermieden. Allerdings konnte der Beklagte nicht mehr rechtzeitig reagieren und überrollte den auf seiner Fahrbahn liegenden Kläger.

Neben einem erheblichen Sachschaden erlitt der Beklagte auch schwere Verletzungen. Es waren dies im Einzelnen multiple Frakturen im linken Oberschenkel, Weichteilverletzungen im rechten und linken Unterschenkel sowie Trümmerbrüche im linken Knie, Kreuzbandrisse in beiden Knien, Meniskusschäden rechts- und linksseitig, sowie multiple Frakturen im linken Fuß.

Entscheidung des Gerichts:
Das Gericht stellt zunächst fest, dass den Beklagten ein Verschuldensvorwurf wegen eines Verstoßes gegen § 5 StVO trifft. Ebenso träfe aber auch den Kläger ein Mitverschulden am Zustandekommen des Unfalls. Dieser habe offensichtlich keinen ausreichenden Sicherheitsabstand zum vorausfahrenden Fahrzeug eingehalten und somit gegen § 4 StVO verstoßen.

Die Verursachungsbeiträge wertet das Gericht dabei mit einem Verhältnis von 2/3 zu 1/3 zu Lasten des Beklagten.

Es betont, dass gemäß § 5 Abs. 2 StVO dem Überholenden die fast ausschließliche Verantwortung für die gefahrlose Durchführung des Überholvorgangs vom Gesetzgeber auferlegt wird. Ihm werde damit äußerste Sorgfalt auch in der Einschätzung der Fahrgeschwindigkeit des Gegenverkehrs abverlangt.

Besonders ins Gewicht falle im vorliegenden Falle auch, dass die zwei weiteren am Unfallgeschehen beteiligten Fahrzeugführer ihre Fahrzeuge stark und abrupt abbremsen mussten, der Führer des Fahrzeugtransporters sogar so stark, dass er Mühe hatte, den von ihm geführten Lastzug in der Spur zu halten. Statt ebenfalls ein Bremsmanöver einzuleiten und wieder hinter dem zu überholenden LKW einzuscheren, was nach Aussage der Zeugen möglich gewesen wäre, setzte der Beklagte seinen Überholvorgang unter Einsatz der Lichthupe fort.

Unter Berücksichtigung der so ermittelten Verschuldensquote urteilte das Gericht sodann ein Schmerzensgeld in Höhe von 10.000,00 € für den Kläger aus.

Bedeutung für die Praxis:
Die Entscheidung des Landgerichts Verden ergänzt die Rechtsprechung der Gerichte zu der Frage des Mitverschuldens bei Verstößen gegen § 4 Abs.1 StVO.

In diesem Bereich war im Jahre 2007 schon eine wichtige Entscheidung des BGH ergangen, welcher der folgende Sachverhalt zugrunde lag: Der Beklagte fuhr aus einer Grundstücksausfahrt auf eine öffentliche Straße auf. Er beachtete dabei nicht, dass sich ein Pkw auf der Straße näherte. Dieser konnte zwar durch eine Vollbremsung und ein Ausweichen nach links eine Kollision mit dem Beklagten vermeiden, der dahinter fahrende Kläger konnte jedoch nicht mehr rechtzeitig abbremsen und kollidierte mit diesem Fahrzeug.

In dieser Fallkonstellation hatte der BGH eine Haftungsquote von jeweils 50 % für angemessen erachtet.

Die vorliegende Entscheidung des Landgerichts Verden macht nunmehr deutlich, dass eine pauschale Bewertung eines Verstoßes gegen § 4 Abs. 1 StVO nicht möglich ist. Ausschlaggebend sind vielmehr, wie bei Haftungsquoten stets, die besonderen Verhältnisse des Einzelfalles.

Im vorliegenden Falle war letztlich entscheidend, dass gerade bei Überholvorgängen den Überholenden eine besondere Sorgfalt abverlangt wird.

Im Laufe der Verhandlungen zeichnete sich schon aufgrund dieser Tatsache eine Neigung des Gerichts zu einer Quotelung von 60 % zu 40 % zu Gunsten des Klägers ab. Als sodann noch der Fahrer des Fahrzeugtransporters als Zeuge bestätigte, dass alle Beteiligten Gefahrenbremsungen durchgeführt hätten und nur der Beklagte davon abgesehen habe, um unter Einsatz der Lichthupe den Überholvorgang abzuschließen, urteilte das Landgericht schließlich die vorbezeichnete Quote aus. Wie aus der Aussage des Zeugen nämlich deutlich wurde, hatte der Beklagte die Möglichkeit gehabt, durch eine Abbremsung den Überholvorgang abzubrechen und wieder hinter dem LKW des Zeugen einzuscheren.
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Also irgendwie hab ich das Gefühl, dass Penner für ihren Mist nicht voll gerade stehen müssen, oder seh ich das falsch. :?
Gruß Achim
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Re: Mitverschuldensquote bei einem Auffahrunfall mit Beteili

Beitragvon HWABIKER » 11.07.2008, 18:38

dehenner hat geschrieben:Aufgrund eines ebenfalls eingeleiteten Bremsmanövers gelang es dem Fahrer des Fahrzeugtransporters, diesen zum Stehen zu bringen. Der Beklagte konnte daher knapp vor dem entgegenkommenden Fahrzeug wieder auf seine Fahrbahn einscheren. Hierdurch wurde ein Frontalzusammenstoß vermieden. Allerdings konnte der Beklagte nicht mehr rechtzeitig reagieren und überrollte den auf seiner Fahrbahn liegenden Kläger.

Neben einem erheblichen Sachschaden erlitt der Beklagte auch schwere Verletzungen. Es waren dies im Einzelnen multiple Frakturen im linken Oberschenkel, Weichteilverletzungen im rechten und linken Unterschenkel sowie Trümmerbrüche im linken Knie, Kreuzbandrisse in beiden Knien, Meniskusschäden rechts- und linksseitig, sowie multiple Frakturen im linken Fuß.

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Also irgendwie hab ich das Gefühl, dass Penner für ihren Mist nicht voll gerade stehen müssen, oder seh ich das falsch. :?


Achim,
ich denke mal, das Problem ist das Auffahren des Moppedfahrers, seine Gefahrenbremsung hat halt nicht gereicht, darin liegt seine Mitschuld, alle weiteren Beteiligten (bis auf den Beklagten natürlich) haben's ja geschafft... übrigens der, der schwer verletzt wurde, war sicherlich der Kläger...
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Beitragvon dehenner » 11.07.2008, 22:24

Ja Rainer ist schon klar. Hätte aber nicht gedacht dass die Schuldverteilung so ausfällt. Wie im 2. Fall beschrieben war dort die Verteilung 50/50 und der Kradfahrer aus dem 1. Fall hat nur weniger Schuld bekommen weil bezeugt wurde, dass der Überholer hätte bremsen können, dies aber nicht getan hat sondern sogar noch mit Lichthupe weitergeprescht ist. Ein solchen Verhalten geht doch schon in Richtung Angriff auf Leib und Leben anderer. Nach meiner Meinung müßte der nicht nur 100 % Schuld haben sondern mal ein paar Tage zum Nachdenken in den Bau.
Wieso wurde dem Mercedesfahrer damals der Prozess gemacht weil er durch schnelles dichtes Auffahren Schuld am tödlichen Unfall einer jungen Frau war. Er hat sie nicht einmal berührt, sie hat falsch reagiert, war überfordert, das war der Motorradfahrer in der Situation evtl. auch.
Meiner Meinung nach sind die Maßstäbe halt sehr unterschiedlich :?
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Beitragvon Heinz » 12.07.2008, 08:19

moin Achim

das Problem war wohl der fehlende Sicherheitsabstand des Mopedfahrers, weil, wenn er den eingehalten hätte, wäre sein Gefahrenbremsung auch erfolgreich gewesen.

und wenn ich ehrlich bin, fahre ich selber, kurz vor einem Überholvorgang auf der Landstraße auch recht dicht auf, immer auf der Lauer nach einer Lücke.
Bei einer Gefahrenbremsung, des vor mir her fahrenden hätte ich auch keine Chance. :shock:
Heinz
 

Beitragvon Carboner » 12.07.2008, 08:45

Ich bin auch der Meinung wie Achim, daß der Motorradfahrer bei den Gerichten heutzutage immer Mitschuld hat. :evil:
Aber da gibts halt auch den Satz in der STVO: Man sollte immer soviel Abstand zum Vordermann halten daß man in einer Gefahrensituation rechtzeitig anhalten kann. (sinngemäß)
Das Problem ist ich kenne wirklich keinen der einen vorgeschriebenen Sicherheitsabstand einhält, auch mit dem Auto nicht.
Wenn man das wirklich praktizieren würde, würde man gerade bei der Autobahn nach hinten durchgereicht, weil immer wieder andere Fahrzeuge einscheren würden.
Das mit dem Sicherheitsabstand ist vom Gesetzgeber her das gleiche scheinheilige Gelaber wie mit der Rente: 100% Rente gibts ab 67. Bloß, wer arbeitet solange?

Gruß Sascha
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Beitragvon Heinz » 12.07.2008, 08:50

Carboner hat geschrieben:Ich bin auch der Meinung wie Achim, daß der Motorradfahrer bei den Gerichten heutzutage fast immer Mitschuld hat. :evil:


...nicht nur als Motorradfahrer, Sascha. :(

...die Versicherer sind ja auch nicht auf den Kopf gefallen, denn Sie profitieren ja davon. :evil:
Heinz
 


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