verdreckten Eisbahn denn einem Erlebnisfeld, ein Moped im Wohnzimmer,
das andere einsam in der entlegensten Enklave des dreigeteilten Landes, dazu
noch Wochenende, keine Verpflichtungen ...
... das sind die Augenblicke, wo Zweifel aufkommen den richtigen Wohnort
gewählt zu haben und man sich verliert beim ziellosen Suchen nach Erfüllung,
Abwechslung, unbändigem Vergnügen.
In diesem Sinne – viel Spaß beim Träumen.

Kniet nieder!
Von Johannes Riegsinger
Warum es das höchste Glücksgefühl eines jeden Motorradfahrers sein muß,
auf einem Knie die Kurve zu kratzen
Das waren noch Zeiten. Als das Frühjahr noch nicht unter dem Titel begann:
"Sicher durch die Saison - sanfte Trainingseinheiten für Wiedereinsteiger".
Sondern unter: "Machs geil wie Kenny - Knieschleifen in zwei harten
Stunden". Ach ja. Seufz.
Heute muß man sich am Bikertreff "Sonnenblume" wortreich für allzu
verantwortungslose Schräglagenwinkel in der Zitterkurve vor dem Lokal –
einst hieß das ja noch Applauskurve - entschuldigen. Früher wurde man ohne
signifikant angeschliffene Kniepads noch mit Schimpf und Schande vom Hof
gejagt. Aber da hieß das Restaurant auch noch nicht "Sonnenblume". Damals
stand"Zum rotäugigen Benzinbruder" überm Eingang.
Dabei wissen die sicherheitsbewußten Motorradfahrer des neuen Jahrtausends
ja überhaupt nicht, was ihnen entgeht: Es gibt ja sowieso nichts Schöneres, als
eine elegant, mit Dampf durchzirkelte Kurve. Die Kurve in all ihren
Variationen ist die Krönung des Motorradelns, egal ob lang gezogen oder eng.
Entscheidend ist allerdings - wie beim Austernessen das kräftige Kauen - daß
man die Kurve auch spürt. Wer mit zusammengekniffenen Hinterbacken und
Schräglagengrusel durch die Gegend schleicht, kriegts nicht mit.
Motorradfahren ohne Schräglage ist wie Weintrinken mit Cola-Verdünnung.
Wie Horror-Thriller mit Augenzuhalten. Ach was. Schlimmer! Völliges
Banausentum! Zumal sich die Schleicherei ja gerne mit der Moral der
Verantwortlichkeit, des Sicherheitsbewußten ziert.
Alles Fehlanzeige. Von der panikartigen Angst vor der fühlbaren Dynamik des
Einspurgeräts bis hin zur enthemmten Raserei ist es ein weiter Weg. Den
müßte der Verschreckte erst mal überwinden. Wer will bestreiten, daß
unsichere und langsame Fahrer viel eher Gefahr laufen, auf die Nase zu
fallen? Und wenn, dann wissen sie nicht einmal, warum es plötzlich
dahinging. Sie erklären das dann mit dem immergleichen, selbigen, einzigen
Grund: Ich war zu schnell.
Dabei ist Zu-schnell kein Maß. Es ist eine Relation. Zu schnell für die Kurve?
Oder zu schnell für die hilflos am Anschlag zuckende Panikschaltung des
Stammhirns? Zu schnell für Rollsplitt, Kuhmist oder Gegenverkehr hat auch
nichts mit objektivem Zu-schnell zu tun. Eher mit subjektivem Erleben und
Reagieren. Früher hat man das so gesehen: Wenn ein anderer in derselben
Ecke noch am glitschenden Rinderdung vorbei kam, dann war er Genau-
richtig. Und Du einfach blind. Zu schnell? Was'n das?
So basisphilosophisch eingenordet sollten wir uns dem Wesentlich widmen:
Der Lust. Der Kurvenlust.
Absolutes Anfängerprogramm, aber immer wieder prima: Enge Ecken mit
ordentlich Zug am Hinterrad und in Schräglage gedrücktem Motorrad
durchzuschlenzen. Schafft einen wunderbaren Kraftbogen. Dann das
genüßliche Verkosten der Schräglage an sich: In harmonischer Linie mit der
Silhouette des Bikes sich neigen, spüren, wie die Reifengummis souverän den
Asphalt abtasten, Grip, Fliehkraft, Leichtigkeit, In-sich-ruhen –
Motorradfahren ist Meditation, Sensibilität. Gegen diese Fortbewegung ist
Autofahren wie Fernsehen. Motorradfahren - es gibt nichts Besseres. Punkt.
Und damit sind wir auch schon bei der Schräglage. Runter mit dem Bock.
Tiefer. So lange bis das Gehirn um Hilfe ruft, die Muskeln in Beinen, Rücken,
Armen sich verhärten, alles ganz gezwungen und furchtsam wird. An diesem
Punkt sind schon ganze Motorradclubs von ambitionierten Sportfahrern
umgestiegen aufs Tourenfahren oder gar Choppern. Und ranzen nun
eifersüchtig die "Schräglagenwixer" an. Mit vollen Hosen läßt sich gut
stinken.
Wie man's macht? Der Trick ist das mentale Setup. Knieschleifer brauchen
einen Mentor. Wie Luke Skywalker Obi Wan Kenobi. Ein Windgesicht, das
einem ganz still erklärt, daß der Gummi im Normalfall gript, bis die Ohren
kratzen. Und daß das Überwinden der ganz persönlichen Schräglagengrenze
zuerst in der Übung, größtenteils aber in der richtigen Blickführung liegt:
Blick weit voraus, das entzerrt den Horizont. Und dann ganz locker den
Körperschwerpunkt neben die Maschine schieben. Keine krampfartigen
Kunststückchen. Sondern das Motorrad wie ein Körperteil behandeln. Knie
raus. Und dann fliegen lassen.
Irgendwann dann - Rennstrecken sind da unglaublich hilfreich, und man kann
nur jedem zu ein paar Hockenheim-Abstechern pro Saison raten - also
irgendwann dippt plötzlich das Knie ganz zufällig gegen den Asphalt.
Elektrisiert einen. Ich hab es! Das ist es! Es ist soo einfach!
Einmal dort gewesen, läßt sich die Kurventechnik mit dem Knie ganz locker
reproduzieren. Man weiß einfach wie weit es runter geht. Ähnlich wie früher,
als man sich nachts im Dunkeln aus dem Haus der Schwiegereltern in spe
geschlichen hat: Man wußte einfach, wie viele Schritte es im Dunkeln bis zur
Haustür waren.
Und dann? Dann macht das Knieschleifen außer Spaß plötzlich auch Sinn. Als
Schräglagensensor. Als drittes Stützrad. Als Balancierstange. Das erste Mal
mit 200 km/h einen lang gezogenen Knick entlangbürsten, als pantherhaftes
Kraftbündel eingeduckt in die brüllende Maschine, explosionsartig in den
Horizont jagen und dabei surft der Knieschleifer sanft über den Asphalt - da
überkommen selbst introvertierte Naturen Allmachtsgefühle.
Wer das erlebt hat, weiß eh wie Motorradfahren geht. Muß nicht zu schnell
fahren, um den Kick zu kriegen. Redet kein Wort mehr darüber. Sondern tut
es einfach immer wieder. Geil wie Kenny.