Wer Theo noch nicht kennt findet die Anfänge in den Threads "Ein ganz normaler Sonntag" und "Neues von Theo"!
Kennt Ihr die Chaos-Theorie? Nicht? Vielleicht den Butterfly-Effect?
Ich benutze mal einen Satz von Edward N. Lorenz, den Vater dieser Theorie:
Does the flap of a butterfly's wings in Brazil set off a tornado in Texas?
Anders gefragt. Können scheinbar unbedeutende Ereignisse Katastrophen auslösen?
Ich sage ja!
„Du Helmut“, beginnt meine Frau das Gespräch, „ich habe heute mit Lena telefoniert!“
Neiiiin! Bitte nicht! Nicht schon wieder!
„Ja und?“ Ich demonstriere Gelassenheit.
„Sie würden gerne einen Ausflug mit uns machen. Picknick und…..“
Meine Fresse! Picknick. So mit karierten Deckchen und Bastkorb? Champagner aus einem Riedel-Glas?
Mit dem Tuntengehabe könnt Ihr mich mal im Mondschein…..
Wenn ich am Boden essen möchte, wäre ich eine Ameise geworden.
„…..im Übrigen habe ich schon zugesagt!“
Was wenn ich schon was anderes vorgehabt hätte? Was Wichtiges? Zum Beispiel einen Besuch im „Modern Talking“- Museum.
„Hast Du aber nicht!“ lautete die pragmatische Antwort meiner Frau. „Punktum!“
Gegen ein derart messerscharfes Argument bist Du machtlos.
In der Tierwelt fürchtet sich der Löwe auch nur vor einem anderen Tier. Der Löwin.
Ich brauche mir keine Sorgen zu machen, hieß es. Theo ist bestens ausgerüstet.
Genau das macht mir aber Sorgen. Wenn ich mir wieder Ergüsse über die Vorteile seiner
Camping und Picknickausrüstung anhören muss, ramme ich Ihm
eine Frikadelle in den Hals. Versprochen! Vorausgesetzt es gibt welche.
Es geht nach Auskunft meiner Frau zivilisiert ab. Campingtisch, Stühle, Grill, Kühlbox….
Moooooment! Wer schleppt das alles? Ich sehe mich schon wie ein vertrottelter
Sommerfrischler mit Liegestühlen unter dem Arm und einer Plastikente um den Hals an irgendein Gewässer wanken.
NO WAY!!!
„Ach….ich soll Dir noch ausrichten, dass Theo mit Dir ein bisschen Angeln möchte.“
Wieso mit mir? Er soll sich gefälligst Köder kaufen!
Das hebe ich mir für Theo auf. Er liebt meinen Witz.
Angeln mit Theo ist Unterhaltung pur wie die Erfahrung gelehrt hat. Das stimmt mich versöhnlich.
Dafür darf er mir auch gerne einen Kurzvortrag über Schistosomiasis halten. Die Betonung liegt aber auf „kurz“.
Wir sollen für die Getränke sorgen, alles andere regelt Theo. Das ich nicht lache!
Der Ösi-Macho lässt Lena werkeln und referiert hinterher, wie ein original Wiener Schnitzel zubereitet wird.
Aber gut, solange ich nicht aktiv in das Geschehen eingreifen muss, soll es mir recht sein.
Wir befinden uns am Ende eines Feldweges, als wir unsere Autos abstellen. Vor mir
Urwald. Dschungel. Wollen wir was mampfen oder amerikanische Kriegsgefangene befreien. Ich sag erst mal nichts.
„Gleich da hinten geht ein Trampelpfad hoch…..“ erklärt Theo.
„Passt zu Dir...“ Den Blicken nach haben es Lena und Uschi auch gehört. Mist!
„Sind nur 5 Minuten. Über die Kuppe drüber und schon sind wir da“
Ich hoffe, dass das stimmt. Sonst könnten das seine letzten 5 Minuten werden.
Mich trifft fast der Schlag, als Theo beginnt, sein Auto auszupacken. Was wird das, wenn es fertig ist? Eine Invasion? Zu guter letzt kommt noch ein kleines Wägelchen zum Vorschein, welches den Transport über die Kuppe erleichtern soll. Sein Glück.
Geschleppt hätte ich das Zeug keinen Meter. Zumal es hieß, man könne mit dem Auto direkt bis….! Augen zu und durch!
Ihr hättet ihn mal sehen sollen. Am Anstieg machte er bereits einen leicht verkniffenen Eindruck. Oben angekommen erinnerte mich seine Gesichtsfarbe an bengalisches Feuer. Man muss ihm aber zugute halten, dass die Kuppe eher ein Bergrücken war. Es war nicht weit. In diesem Punkt sprach er die Wahrheit.
Aber so was von steil….
Ich durfte ihm leider auch nicht helfen, dem Ehrgeizling. Er hat zwar mal was vor sich hin gestammelt, aber durch sein jämmerliches schnappen nach Luft habe ich ihn einfach nicht verstanden.
Lena war mit Uschi schon vorausgegangen. Pech. Seine Frau hätte möglicherweise gewusst was er will.
Ein paar Meter weiter warten unsere Mädels, da der Weg sich gabelt. Theo, einigermaßen erholt erklärt: „Wir müssen da links runter. Ihr werdet staunen, eine Idylle! Absolut geheim dieses Plätzchen. Kennt kein Schwein!“
„Warum kennst dann Du es?“ flüstere ich ihm ins Ohr.
„HELMUT….!!“ das waren Lena und Uschi in stereo.
Für was brauchen Frauen eigentlich ein derart ausgeprägtes Gehör? Da bin ich ja den ganzen Tag einem permanenten Lauschangriff ausgesetzt. Das kann heiter werden.
Ich frage mich, warum der Trampelpfad eher einem viel begangenen Wanderpfad ähnelt, wenn er soooo geheim ist. Ich vermute das Plätzchen kennt nur Theo und 240 seiner engsten Angelfreunde.
„Wenn wir von jetzt an ganz leise sind, sehen wir vielleicht ein paar Fischotter oder Waschbären. Die gibt es hier nämlich.“ So Theo der Weise.
Mann hat der Einen an der Klatsche. Fischotter haben ein Gehör wie, wie….na wie Lena und Uschi in etwa. Und Waschbären sind Nachtaktiv. Vom Angeln und von Tropenkrankheiten mag er ja Ahnung haben. Aber in anderen Fällen wäre es besser er würde einfach mal die Fresse halten.
„Habe ich Euch eigentlich schon von der Onchozerkose, der Flußblindheit, erzählt?“, fragt er uns freudestrahlend.
Hatte ich vorhin laut gedacht??? Ich darf auf keinen Fall die Nerven verlieren!
„Ich dachte wir sollten leise sein!?“ Das war jetzt Lena, die ihren Theo in die Schranken wies. Gutes Mädchen!
Nach weiteren 5 Minuten, den Urwald haben wir hinter uns gelassen, erreichen wir ein wunderschön gelegenes, völlig Fischotter- und Waschbärenfreies Flussufer. Könnte auch auf einer kanadischen Postkarte abgebildet sein.
Kies- und Sandbänke, ein paar Sträucher und absolute Ruhe. Doch, da hat er gut ausgewählt, der Herr Doktor.
Wir bauen die mitgebrachten Picknickutensilien auf. Ich bin beeindruckt! Alu, Magnesium, Carbon! Alles Federleicht! Warum hat die Memme vorhin so aus dem letzten Loch gepfiffen? Da wäre meiner Meinung nach wohl mal ein EKG notwendig.
Aber ich will ihm zugute halten, dass meine Kühlbox mit den Getränken und den Eiswürfeln sicher mehr wiegt, als seine Ausrüstung zusammen.
Rolltisch, Faltstühle, Grill…..alles im Gramm-Bereich. Ich bin beeindruckt. Wenn in nicht all zu ferner Zukunft Weltraumpicknick angeboten wird, darf Theo seine Ausrüstung mitnehmen. Ganz sicher!
Zum Einstimmen trinken wir ein Bierchen. Theo erklärt mir seine Angelausrüstung.
„In diesem Flussabschnitt darf man nur Fliegenfischen!“
„Soll mir recht sein! Solange ich die Fliegen nicht essen muß!“
Theo schaut mich an wie ein VW Käfer Bj. 62. Er versteht es nicht. Er versteht es wirklich nicht.
Jetzt packt er seine Wunderwaffen aus. Fliegenruten im Wert von rund 1.000 € das Stück. Hatte ich nach dem Peis gefragt?
Wie gerne würde ich jetzt kontern. Zum Beispiel mit Essstäbchen aus Kryptonit vom Planeten Krypton. Aber wer hat so etwas schon?
Und schon steht Theo, bekleidet mit Wathose (Gummistiefel die bis zur Brust reichen) und Idiotenhut im Wasser. Sehr elegant, was er da abliefert. Erinnert ein bisschen an den Film „In der Mitte entspringt ein Fluss“ mit Robert Redford.
Erstaunlich….wo ich ihn üblicherweise mit Forrest Gump vergleiche.
Ich genieße die friedliche Stille in meinem Weltraumstuhl, als plötzlich ein schreien und lautes plantschen meine Aufmerksamkeit anregt.
Theo war in Ufernähe in eine etwa 1.60m tiefe Gumpe getreten, was zur Folge hatte, dass sich seine Wathose innerhalb einer Sekunde mit Wasser füllte. Und das Wasser stand ihm bis zum Hals.
Wenn jetzt eine Schneeschmelze den Fluss ansteigen ließe…..Eher unwahrscheinlich im Juni. Die Erderwärmung ist nie da wenn man sie braucht.
„Helmuuuuut, bewege Deinen verdammten Arsch hierher und hilf uns!!“ Das war jetzt Lena.
Uschi und Lena zogen, auf dem Bauch liegend, an Theos Armen. Sinnlos. In diesem Zustand wiegt Theo ungefähr 300 kg! Ein Glück, dass die beiden nicht kräftiger sind.
Theo stünde ohne Arme im Wasser.
Ich schlendere mit Kescher und Reepschnur bewaffnet an die Unglücksstelle.
„Damit bringst Du mich auch nicht raus!!“ , teilt er mir, mit leicht überhöhter Stimmlage und wenig Heldenhaft wirkend, mit. Offensichtlich hält er mich für total bescheuert. Ich möchte ihn schon fragen, wer von uns eigentlich der Depp ist, lasse es aber dann. Wir hatten ja noch nicht mal gepicknickt. Und Picknick ohne Harmonie geht mal gar nicht.
Ich lasse ihn die Reepschnur an einen Metallhaken anbringen, der in Hüfthöhe an der Wathose befestigt ist, ihn die Wathose an den Trägerverschlüssen öffnen und bitte ihn, die Hose ohne weitere Verzögerungen und Kommentare schwimmend zu verlassen.
Unter Zuhilfenahme des Keschers drücke ich die Hose komplett unter Wasser. In der leichten Strömung entleert sie sich nahezu gänzlich und ich kann sie mittels der Reepschnur bergen.
Jetzt ist Theo beeindruckt. Und Lena. Und Uschi. Viel zu wenig Zuschauer, nach meinem Gefühl!!!
Nun ist es aber an der Zeit, mal was zwischen die Kiemen zu bekommen.
Emsig haben die Mädels den Tisch gedeckt, der Grill ist befeuert. Jetzt kommt mein Riesling, Weingut Sommer, Burgenland, zum Einsatz. Ha! Da soll noch mal jemand sagen, Theo wäre mir wurscht!
Theo erkennt die Geste und ist hoch erfreut!
„Gibst Du mir mal den Korkenzieher, Helmut?“ Natürlich muss er die Flasche öffnen!
Burgenländer Flaschen unter sich.
„Ähhh….Korkenzieher, ich? Habe ich nicht!“
„Das darf doch nicht wahr sein! Du hast doch gesagt, Du kümmerst Dich um die Getränke!?“ Theo scheint leicht gereizt zu sein.
„Habe ich ja“, antworte ich, „aber ein Korkenzieher ist definitiv kein Getränk!“
Theo wiederholt seinen VW-Blick. Uschi und Lena haben dagegen, dem Lachen nach zu urteilen, die Situation schon gecheckt.
Vielleicht versteht er meinen Humor doch und ist nur psychisch etwas geschwächt.
Wer könnte es ihm verdenken. So knapp dem Wassertod entronnen.
Er kümmert sich um den Grill. Klar wer sonst.
Die ersten Steaks waren keine Steaks sondern Brandopfer. Ab diesem Zeitpunkt übernehme ich. Auf Befehl von Lena.
Der Nachmittag entwickelte sich noch ganz gut. Wesentlichen Anteil daran hatte der Riesling, welchen Theo in großen Mengen zu sich nahm. Immer noch psychisch bedingt, versteht sich!
Da er sich bald nicht mehr allzu verständlich ausdrücken konnte, wurde er vom Gespräch mehr oder minder ausgeschlossen und schlief ein. Herrlich!!
Dafür nahm ich sogar in Kauf, die lächerliche Karre alleine zu unseren Autos zurückzuziehen.
Dort angelangt, nahm mich Theo zur Seite. „Das mit dem Ungeschick im Wasser sagst Du doch niemanden?“ Wie er sich schon wieder ausdrückt!
„Nein, Theo! Niemals! Versprochen!!“
Von schreiben hat er ja nichts gesagt.
Mancher wird sich vielleicht nun fragen, wie mein Verhältnis zu Theo denn nun wirklich ist. Schwer zu erklären. Sehr schwer.
Nehmen wir mal einen x-beliebigen amerikanischen Film mit einer typischen Szene:
Timmy, wohlerzogener, anständig gekleideter, chic frisierter (Linksscheitel) Junge aus wohlhabenden Elternhaus, wohnhaft in dem neuen Ressort „Pines Grove“ auf dem Weg zur Schule um dort wie gewohnt, als Liebling der Lehrerschaft, Bestleistungen abzuliefern.
Kurz vor der Schule lauern ihm 3 seiner Klassenkameraden auf. Die Fletcher-Brüder.
Übel riechend, zerlumpt gekleidet und in den Sümpfen wohnend, wo ihr ständig besoffener Vater seinem Hobby, dem Schwarzbrennen, frönt. Mutter: Fehlanzeige.
Da sie bereits zum dritten oder vierten mal dieselbe Klasse besuchen, sind sie größer und stärker als Timmy. Infolgedessen ist es ihnen ein Leichtes, Timmies Schultasche zu entleeren und sein Pausenbrot zu essen. Während er von zwei Brüdern festgehalten wird, pinkelt ihn der Dritte gegen die Waden.
Theo ist Timmy und ich bin die Fletcher-Brüder.