Früher!
Wir hatten noch einen eindeutig erkennbaren Feind, er saß jenseits der Mauer und noch weit dahinter, die waren die Bösen wir die Guten. Jeder der Kontrahenten konnte zigmal die Welt zerstören, tat es aber aus Furcht vor den Konsequenzen nicht. So einfach war die Welt.
Heute ist die Mauer weg und wir sind Freunde, dafür sind unsere neuen Feinde nur noch diffus erkennbar, manche Ölstaaten reichern Uran an, andere isolierte Staaten wiederum testen Langstreckenraketen obwohl die eigene Bevölkerung fast verhungert, alles natürlich für zivile Zwecke. Oder ein paar versprengte Irre erklären uns beim shoppen in der Fußgängerzone den heiligen Krieg, nur weil man das nicht glaubt was in ihren Büchern steht, welche sie einem ungefragt und kostenlos aufdrängen wollen. Ja, man muß einen Tumult fürchten wenn man das Buch achtlos in die nächste Tonne wirft. Auf jeden Fall ist es komplizierter geworden.
Früher kroch man im Wagen mit kochendem Kühler den Brenner hoch, schleppte eine halbe Werkstatt samt Ersatzteilen mit. Oft genug gab es Zwangspausen weil irgendwas wieder am kochen war oder anderweitig verreckt ist.
Heute muß man bergauf bremsen um die vorgeschriebene Geschwindigkeit zu halten, damit einem die Häscher nicht den Führerschein abnehmen. Dabei spielt es keine Rolle ob ein Anhänger hinten dran ist und wie schwer dieser beladen ist. Werkzeug braucht man sowieso keines mehr, nicht mal die ADAC Karte. Ein Handy reicht, wenn der Wagen überhaupt mal liegen bleibt, weil ungewöhnlich und selten.
Früher schnitt man auf dem Supermarktparkplatz Löcher ins Autodach und setzte ein Ausstellfenster ein. Die Folge war, im Frühjahr/Sommer entwickelte sich bei Regen im geparkten Fahrzeug ein Feuchtbiotop im Wagen, im Winter zog es umso besser durch die mangelhafte Dichtung. Bei hohem Tempo pfiff das Ding unerträglich, trotz Windabweiser.
Heute wird auf Knopfdruck klimatisiert, auf Wunsch öffnet sich das Schiebedach oder das ganze Dach verschwindet innerhalb von Sekunden. Ein Windschott sorgt dafür, daß die Frisur weiterhin in Form bleibt, obendrein garantiert ein Warmluftgebläse dafür, daß der Nacken nicht auskühlt. Die Sitzklimatisierung wiederum verhindert, daß man friert oder im anderen Fall das Leder vollschwitzt, Massagesitze runden dieses Wohlfühlpaket ab.
Früher kam aus dem teuren Alpine Radio in Verbindung mit den beiden Pioneer TS146, die auf der Pappdeckelablage im Golf eingebaut wurden, etwas raus was man entfernt Klang nennen konnte.
Heute zelebrieren digitale Verstärker nebst Lügenprozessoren sowie zahlreiche Lautsprecher ein Klangbild, daß einem vortäuscht, die Band spielt live auf der Motorhaube. Mit HiFi hat das zwar genauso wenig zu tun wie vor 40 Jahren, aber geiler klingt es auf jeden Fall.
Früher krachte es nicht so häufig, war ja auch nicht soviel Verkehr. Dafür bekam der Fahrer beim leisesten Aufprall das Lenkrad wie eine Torte ins Gesicht, parallel zerschnitt er sich die Extremitäten an scharfkantigen offenen Blechbauteilen im Innenraum. Bei etwas besseren Modellen lauerten diese frech unter billigem Kunststoff, welcher natürlich beim ersten kleinen Unfall zerbarst.
Heute warnt Dich die Karre vor der Kollision wenn Du im einschläfernden Stop and Go Verkehr tatsächlich pennst, SMS schreibst, Zeitung liest oder gerade eine spannende Fernsehsendung verfolgst. Reagierst Du nicht greift das Auto ein und bremst bis zum Stillstand. Hast Du es auf der Landstraße oder Autobahn übertrieben und die Elektronikwarnungen ignoriert oder gar das System abgeschaltet kracht es unter Umständen tatsächlich, zuweilen auch kräftig. Dann faltet sich das Auto beim Aufprall wie eine Ziehharmonika zusammen, Du wirst im Sitz von Gurtstraffern gehalten, der Rest wird durch zahlreiche Airbags abgefedert. Du steigst aus, rückst die Brille zurecht, tauschst mit dem Unfallgegner die Daten aus, rufst ein Taxi und läßt Dich zum nächsten Autohaus fahren. Hat es doch stärker gekracht und Du bist nicht mehr in der Lage auszusteigen ruft das e-Call System den Notarzt. Bis dahin viel Glück, aber Du hast schon jetzt mehr Glück als früher. Denn Du liegst in einer Sicherheitsfahrgastzelle. Normalerweise würde Dich nach so einem Aufprall nicht mal mehr Deine Mutter wieder erkennen, weil Du irgendwo zwischen Fahrersitz und Motorblock eingeklemmt wärst und der Heckspoiler im Hinterkopf steckt.
Sofern sie nicht für den Renneinsatz aufwendig umgebaut wurden, fuhr man früher auf wackeligen Fahrgestellen Motorrad. Trennscheibenartige mit harter Gummimischung versehene Reifen sorgten für Minimalschräglagen. Einkolbenunwirksamkeitsbremsen verhinderten einige Meter zuverlässig das Blockieren des Vorderrades, verlängerten den Bremsweg dafür bis zum Einschlag. Manchmal blockierten sie auch unvermittelt und das Thema hatte sich vor dem Einschlag erledigt. Geradeausfahren ging mit den Dingern aber gut. So wurden Helden geboren und viele Legenden machen bis heute die Runde. Die Motoren überforderten die Fahrwerke zwar gnadenlos, aber dafür waren diese erste Sahne wartungsintensiv, dank akribisch eingestellter Vergaser hingen sie zumindest eine Weile sehr sauber am Gas. Man war Fahrer und Mechaniker in einer Person und mußte beides beherrschen, denn oft fielen diese Wunderwerke der Technik unvermittelt aus. Protektoren in der Kleidung waren ein Fremdwort. Lederjacke und Jeans reichten mußten reichen. Dafür sah derjenige nach einem nur leichten Sturz aus als hätte er mit Rasierklingen gespielt.
Heute fährt man mit dem Mopett einhändig mindestens 250km/h auf der Bahn, sofern man will, wird der Orkan zu stark, dann fährt man die Scheibe hoch, hat Ruhe und hört die Nachrichten im Radio. Dafür kann man wirklich nur noch nachts oder sehr früh am Morgen so schnell fahren, ansonsten ist es zu voll. Was muß auch jeder Depp mit dem Auto vor einem herfahren. Oder man läßt die monotone Bahnbraterei und widmet sich der Landstraße, was dank stabiler Fahrwerke, guter Reifen sogar bei Regen Spaß macht. Bei trockener Straße sind Schräglagen möglich, die nur durch den Fahrer limitiert werden, niemals durch das Material. Auch heute wird zuverlässig verhindert, daß Räder blockieren, allerdings auf intelligentere Weise als früher. Die Arbeiten am Motorrad beschränken sich auf tanken und putzen, schrauben war vorgestern, die Wartungsintervalle sind lang, die Vertragswerkstatt sieht man selten. Eine Motorradsaison wird ein klein wenig verlängert durch Funktionskleidung, Heizgriffe und Sitzheizung.
Früher verschnürte man das Gepäck in Taschen mit zahlreichen Gurten auf dem Motorrad. Drübergestülpte Müllsäcke sorgten leidlich dafür, daß die Wäsche in den Beuteln bei Regen nicht durchnässt wurde, zumindest solange sie nicht vom Fahrtwind zerrissen wurden. Fuhr man zu zweit und mit Gepäck in Urlaub gebärdete sich der Bock noch schlimmer als ohne und der Motor mußte dauerhaft und höher gedreht werden als am Wochenende vorher auf der Nordschleife.
Heute ist es dem Tourer oder der Reiseenduro völlig egal ob mit Sozia und Gepäck oder nur der Fahrer darauf Platz nehmen. Die Anforderung an das Fahrwerk bzgl. Gewicht und Fahrstil ist mühelos ja zuweilen sogar per Knopfdruck einzustellen. So zieht die Maschine zielgenau und sicher ihre Bahn. Die Geschwindigkeit ist diesselbe wie solo und Du regelst das Tempo lässig mit der rechten Hand, surfst freudig und entspannt die Straße lang, der Weg ist das Ziel, so wie früher, die einzige Gemeinsamkeit. Das Gepäck ist wasserdicht in Koffern verstaut, abends am Hotel müssen keine Koffer abgebaut werden, man nimmt die Innentaschen raus und verschließt den Rest per Schlüssel oder Knopfdruck.
Früher waren Zweitakter der Inbegriff von Sportlichkeit und Dynamik, auf der Rennstrecke mit Sicherheit. Einige für die Straße vorgesehenen Motorräder liefen auch ganz gut, fielen aber auf wegen Anfälligkeit und Leistungsschwankungen. Andere Zweitakter wiederum waren so grottenlahm, daß der Begriff "abgasstark und leistungsschwach" durchaus seine Berechtigung hatte. Legenden besagen was anderes, aber wir sind ja bei den Fakten.
Heute sind diese Stinker von der Straße verschwunden, viele Motorräder haben dermaßen viel Leistung von welcher die damaligen Rennfahrer nicht mal zu träumen gewagt hätten. Traktionskontrolle und ABS sorgen dafür, daß auch Otto Normalfahrer damit im Alltag und auf der Renne fahren kann ohne gleich zur Bombe zu werden. Man kann damit übrigens direkt auf die Rennstrecke abbiegen. Normale Sportreifen und serienmäßige Fahrwerke reichen durchaus für flotte Runden. Will man mehr so reichen Slicks, Reifenwärmer und aus Kostengründen eine Rennverkleidung, mehr Umbau braucht es zunächst nicht.
Kleine Kinder wurden seit jeher mit Kinderwagen durch die Gegend geschoben, mit den kleinen Rädern blieb man fast an jedem Bordstein hängen. Die Auspuffanlagen der Busse, LKW und Autos waren genau auf Höhe des Kindermundes. Das war aber nicht schlimm genug, wenn so ein Bus anfuhr hüllte er die an der Ampel stehenden Fußgänger in eine Rußwolke.
Heute sind die Räder an den Kinderwagen größer und man kann die Karren prima dazu benutzen um Inlinerfahren zu erlernen ohne dabei dauernd zu stürzen. Bürgersteigkanten sind kein ernsthaftes Hindernis mehr. Ich freue mich schon aufs Enkelkinderschieben. Die Busse sind leise und abgasärmer, einzig die feinen Rußpartikel machen uns noch Sorgen. Auch die Autos und die Motorräder sind sauberer geworden, letztere zielten eine Zeitlang mit Underseat-Auspuffanlagen auf die Gesichter, aber der Trend ist auch vorbei. Insgesamt hoffe ich auf eine Ablösung der Verbrennungsmotoren durch Elektroantriebe. Vor allem was dann möglich ist, auch hinsichtlich Fahrdynamik. Die Verbrenner werden dann den heutigen Status der Dampfmaschine erreicht haben. Nämlich charmante Vetreter einer vergangenen Epoche, die uns viel Wohlstand und zuweilen Spaß gebracht hat, aber dann technisch überholt sind.
Wer will da ernsthaft behaupten, daß früher alles besser war?