Um es gleich vorwegzunehmen:
Dieses Motorrad taugt nicht zum Ändern des eigenen Fahrstils in Richtung „Neue Langsamkeit“.

Dafür fährt sie sich zu leichtfüßig und mit mächtigem Druck.
Sie ist auch nicht die Alternative zur KR und KS, wenn diese
ohne Sozius/Sozia betrieben werden. Ich habe mir sie deshalb einmal geholt, weil ich mittelfristig wieder 3000-4000 km-Touren mit Beifahrer/-in machen möchte und dabei noch Gepäck mitnehmen will.
Der freundliche Herr Lietz

, seines Zeichens Kawa-Händler im Nachbarort Gruibingen, erklärte mir mit kindlicher Freude Details zum neuen Kawa-Supertourer. Um ihn nicht zu verunsichern tat ich nicht mehr als ihm die Gewissheit zu suggerieren, ich wüsste um die Technik des Motorradfahrens gerade das Notwendigste.
Ein Blitzen in seinen Augen konnte ich erkennen, als er mir KIPASS (Kawasaki’s Intelligent Proximity Activation Start System) erklärte. Man hat dabei den Sender in der Tasche, und der schaltet das Mopped ab einer Entfernung von 1,5m frei. Der Schlüssel steckt permanent und wird durch einen Magnetschieber gesichert. Wer’s braucht…
Nach 10 min Einweisung konnte ich dann endlich die Braut besteigen

, und der erste Eindruck täuschte dann auch später nicht: super komfortabler Sitz, entspannt aufrechte Sitzposition, alle Schalter intuitiv bedienbar; der erste Wohlfühleffekt stellte sich ein.
Zündung an, Tacho- und Drehzahlmessernadel einmal im Duett bis zum Anschlag und zurück, der Bordcomputer schreit mir förmlich die Daten ins Gesicht.
Nach dem Druck aufs Starterknöpfchen erklang nicht einmal im Ansatz irgendein metallisches, schepperndes oder klapperndes Geräusch. Hier darf die Steuerkette Steuerkette sein, hier muss sie nicht rasseln. Das Mopped hat zwar ein Getriebe, aber man hört es nicht. Erster Gang rein – nichts. Butterweich. Ohne Geräusch. Ich konnte es nicht lassen: raus, rein, raus, rein, es war genial.
Der spontane Dreh am Gashebel sollte meiner Umgebung signalisieren, dass ich zu allem bereit war, und alle konnten es hören. Optisch gnadenlos, der ESD, aber akustisch ausgewogen. Dumpf, sonor, japanisch halt. Unaufdringlich im unteren Drehzahlbereich, oben raus aber doch der Klang eines richtigen Motorrades. Dennoch: Ich konnte jetzt erahnen, was mein Powercone meiner Umwelt an akustischer Verschmutzung zumutet. Hauahaua…
Die Kupplung ist nichts für Zartbesehnte, sie ist ähnlich der der BMW. Aber sie ist ab Werk eine Anti-Hopping-Kupplung – was die im Zubehörhandel für unsere Mäuschen kostet, wisst ihr ja.
Ich versprach Herrn Lietz, der mit ca. 400 km auf dem Tacho noch äußerst jungfräulichen Vorführmaschine noch nicht das gesamte Drehzahlband zu erklären, was ich in der Praxis dann nicht immer umsetzen konnte, weil dieses 1400er Triebwerk die immerhin über 300 Kilo schwere Kawa so vehement nach vorne katapultiert, insbesondere ab 4000 U/min, dass man gar nicht früher schalten möchte. Aus Kurven, insbesondere aus Kehren heraus kommt dieses Triebwerk so feindosiert und butterweich, dass es eine Freude ist. Der Kardan zeigt keinerlei unangenehme Reaktionen, man spürt ihn gar nicht.
Das Fahrwerk hinterlässt einen hervorragenden Eindruck. Schlechte Straßenverhältnisse werden einfach weggeschluckt, man schwebt förmlich über den zerfurchten Asphalt. Die genial gepolsterte Sitzbank trägt ihren Obulus dazu bei. Dabei wirkt das Fahrwerk keineswegs schwammig. Schnelle Kurven wie auch flotte Kurvenwechsel nimmt die Kawa außerordentlich leichtfüßig und sicher. Der Bridgestone BT021 als Serienbereifung ist sicher nicht die beste Wahl, er stellt sich beim Bremsen in Schräglage auf. Übrigens fährt die Fuhre hinten auf einem 190er Schlappen, und trotzdem ist sie richtig handlich (fast wie Achims ...

).
Die Bremsen: Es ist unglaublich, was im Bereich der Bremsen heute technisch möglich ist, und dass BMW sowas nicht in seine Motorräder einbaut. Zumindest nicht in die 05er Modelle der K-Serie. Die 310er Petalscheiben vorne holen die 6-Zentner-Fuhre mit
einem Finger so brachial aus Tempo 200 runter, dass einem die Spucke wegbleibt. Dabei ist sie sehr fein dosierbar, fast unheimlich.
Und was gibt es zu kritisieren? Doch, sie ist und bleibt eine Japanerin. Plaste und Elaste, wie hab ick Dir lieb… Sie kostet nun auch fast 16 Mille, und es fehlt ein Hauch von Wertigkeit. Ja, schwarzmetallic, mit Chromapplikationen, sieht schon edel aus, aber bei näherem Hinsehen / Hinfassen bleibt es dennoch klapprig.
Hinsichtlich der Ergonomie weiß ich nicht, wie sich ein 2m-Fahrer auf der Kawa fühlt. Ich könnte mir vorstellen, dass dem die Fußrasten zu hoch angebracht sind.
Windschutz? Nein danke! Richtig ärgerlich empfand ich, dass ab 160 eine Art naked-bike-Effekt auftritt. Von einem Tourer verspricht man sich mehr. Kawa hat eine größere Scheibe im Angebot, man sollte sie für eine Probefahrt beim Händler ordern. Die Scheibe ist elektrisch verstellbar, jedoch habe ich sie in der untersten Position gelassen, weil sonst ein Unterdruck entsteht, der den Kopf unangenehm nach vorn zieht. Außerdem ist das Fahrgeräusch am Leisesten, wenn der Fahrtwind direkt auf den Helm trifft- Schuberth S1 halt. Aber all diese Effekte sind von Fahrer zu Fahrer anders zu beurteilen, von daher beziehe ich diese Probleme vorerst nur auf die wenig windschlüpfrige Form meines Astralkörpers.
Fazit: Beeindruckende Maschine. Motor, Getriebe, Antrieb, Fahrwerk, Bremsen – klasse! Ergonomie und vor allem Windschutz könnten besser sein. Unterschied zu meiner „alten“ K1200RS: Bremsen und Power.
Die nächste Probefahrt geht dann mit Sozia!
P.S.: Ralle, lass die Finger weg von der. Das gibt sonst Fieber...
