«Der junge Tsipras wird bald alt aussehen»
Von Michael Bahnerth. Aktualisiert am 27.01.2015
Taki Theodoracopulos gehört zur obersten griechischen Oberschicht und wohnt seit Jahrzehnten in Gstaad. Er kommentiert die Wahlen in seinem Heimatland und nimmt dabei kein Blatt vor den Mund.--------------------------------------------------------------------
Taki Theodoracopulos ist 78 Jahre alt, Reederei-Erbe und einer der reichsten Männer Griechenlands. Sein halbes Leben schon lebt er in Gstaad, zuerst 30 Jahre lang im Hotel Palace, dann in einem vierstöckigen Chalet.
Taki war zuerst professioneller Tennis¬spieler, dann Playboy, bis er 1991 am Londoner Flughafen Heathrow fest¬genommen wurde, weil man in seinem Koffer eine beträchtliche Menge Kokain fand. Im Gefängnis schrieb er das Buch: «Nichts zu verzollen».
Wieder in Freiheit, überlegte er kurz, ob er, auch aus gesundheitlichen Gründen, die Geschäfte seines Vaters übernehmen sollte, aber: «Ich hatte keine Lust, diesen Idioten von der griechischen Regierung in den Arsch zu kriechen, um überhaupt in Griechenland Geschäfte machen zu können.» Taki wurde Kolumnist beim «Spectator», und er galt lange als einer der kompromiss¬losesten Schreiber Europas.
Nach eigenem Bekunden tritt er jetzt ein wenig kürzer: «Weniger Zigaretten, Michael, und mehr Langlauf.»
Mr. Theodoracopulos, kennen Sie den designierten griechischen Premierminister Alexis Tsipras persönlich?
Nur vom Hörensagen, aber das reicht mir. Vergessen Sie nicht, dass «Demagoge» ein griechisches Wort ist, eine Erfindung von uns. Tsipras ist einer. In meinen Kreisen gehört er nicht unbedingt zum Establishment, um ehrlich zu sein. Ich halte ihn einfach für ein frisches Gesicht,
das bald realisieren wird, dass es eine Realität gibt, die auch er dann nicht wegreden kann. Dann wird er alt aussehen. An welche Realität denken Sie?
An Angela Merkel etwa. Sehen Sie, jene, die Tsipras gewählt haben, wollten auch Frau Merkel, die sie für das griechische Debakel der letzten Jahre verantwortlich machen, be¬¬strafen.
Aber es werden die Deutschen sein, die über die Zukunft Griechenlands entscheiden, nicht die Griechen. Das ist die Realität, die auf Tsipras wartet.Dann ist der Sturm des Wandels, der jetzt durch Athen zieht, nur ein laues Lüftchen?
Nicht mal das. Da war die Nacht nach der Wahl, und die Menschen drehten ein bisschen durch. Okay. Sie feierten, weil sie denken konnten, dass die Dinge sich verändern. Natürlich verändern sich Dinge nie über Nacht.
Sie werden noch schnell genug herausfinden, dass sich nichts verändern wird, weil sich der Grieche nicht verändern kann.Wie meinen Sie das?
Um Griechenland so zu verändern, dass es einigermassen problemlos funktioniert, müsste man die griechische Mentalität verändern. Die Art des Denkens. Der griechische Charakter ist der eines Träumers, der Grieche ist ein Wesen ohne Rückgrat. Das sieht man schon daran, wie das Geld, das vor der Krise da war, dieser plötzliche Reichtum sie kaputt¬gemacht hat. Sie wurden geldgierig und begannen, sich zu prostituieren. Nun ist es so: «Wie kannst du aus einer Frau, aus der du eine Nutte gemacht hast, wieder eine saubere Frau machen?» Ja, und hinzu kommt, dass Griechen ihre Träume für die Realität halten. Das sieht man ja schon an Tsipras. So kann man kein Land retten, und schon gar keines, das seit dem Zweiten Weltkrieg alles falsch gemacht hat.
Alles?
Alles. Da war der Bürgerkrieg ab 1946, Monarchisten gegen Kommunisten. Danach machten wir einfach so weiter, linkes Lager gegen rechtes und umgekehrt. Dann kam die Militärdiktatur, und danach riefen alle: «Wir haben jetzt Demokratie.» Aber was war das für eine Demokratie? Eine, die in den Händen von ein paar wenigen lag.
Das Volk hatte keine Ahnung, wie Demokratie funktioniert. Es hat es immer noch nicht. Es wird dazu nicht erzogenDas könnte sich ja jetzt ändern.
Natürlich wünsche ich der neuen Regierung Glück, und man darf auch nicht vergessen, dass es schlimmer, als es die vergangenen Jahre war, gar nicht mehr geht. Aber hier ist der Wunsch und dort die Wirklichkeit.
Und die Wirklichkeit ist, dass Beamte weiter betrügen werden, jene Beamten, von denen ¬Tsipras wieder 300'000 mehr haben möchte. Ex-Premier Samaras führte ja neue Steuern ein, um die Einnahmesituation des Landes zu ver¬bessern. War alles beschlossen und ratifiziert. Und was geschah?
Die Beamten, die die Steuern eintreiben mussten, steckten grosse Teile davon in die eigene Tasche. Das ist der ¬griechische Teufelskreis. Das ist die Realität – wir sind nicht viel besser als Albanien.Haben Sie irgendeine Idee, wie man den Charakter eines Volkes verändert?
Es scheint unmöglich, ich weiss. Es dauert mehr als eine Generation. Wenn das reicht. Wie bekommt man weg, was wir 400 Jahre gelernt und perfektioniert haben?
Sie meinen?
Wir Griechen haben ja nicht nur die Mathematik, die Philosophie, die Knabenliebe und so weiter,
sondern auch die Steuerhinterziehung und das Erschleichen von Privilegien durch das Mittel der Bestechung erfunden. 400 Jahre lang darbten wir unter der Knechtschaft der Türken. Damals haben wir das Tricksen gelernt. Damals war Steuern bezahlen unpatriotisch und eine kleine Bestechung hier und da sicherte dir das Überleben. Das griechische System war erfolgreich. Wir haben es beibehalten, bis heute.Machen Sie am Horizont so etwas wie eine neue Generation aus, die mit den alten Werten brechen will?
Leider nein. Die Intelligenten verlassen das Land, weil wir keine Jobs mehr haben. Die weniger klugen ¬bleiben und ahmen ihre Väter nach. Kommt hinzu, dass die Jungen ja nichts Anständiges mehr lernen. Wir haben in Griechenland ja inzwischen mehr Architekten und Anwälte, als die Schweizer Berge Schnee haben. 6000 Ärzte haben in den letzten Jahren das Land verlassen. 6000. Das ist viel für ein Volk von zehn Millionen. Sie gingen, weil sie kein Geld verdienen konnten. Ebenso die Ingenieure. Die Tragödie ist auch, dass nur Griechen, die ins Ausland gehen, etwas werden: Onassis, Niarchos, Livanos, Pete Sampras.
lch versuche es nochmals – was müsste sich verändern, damit sich Griechenland verändert?
Das Problem ist, dass hier einer, der nicht schlecht ist, bei dem, was er tut, dafür schon vergoldet wird. Anders- wo würde das erst geschehen, wenn er sehr gut ist. Da ist einer also nicht schlecht, wird aber gestopft wie eine Gans und kriegt dann seinen Hintern nicht mehr hoch. Wozu auch? «Going for the big thing», das können wir nicht. Und dann bräuchten wir dauerhaft verantwortungsvolles und vernünftiges Regieren.
Du kannst kein korruptes System haben und von den Menschen erwarten, dass sie ehrlich sind.Die Griechen denken ja jetzt, sie hätten einen solchen Regierungsstil gewählt.
Ein bisschen Rummotzen gegen Europa, Angela Merkel eine Nazitante schimpfen und versprechen, dass alles besser wird, und Griechenland die Rückgabe seiner Seele in Aussicht stellen – jene Seele, die es seit der Antike nicht mehr besitzt –, reicht ja nicht. Das ist zwar vielleicht ganz lustig, manchmal, mehr aber auch nicht. Wie gesagt, wir träumen jetzt ein bisschen, wie immer, und dann kommt die Realität.
Woher kommt das eigentlich, dieses Träumen von Wirklichkeit?
Das liegt natürlich an unserem Erbe und damit, wie heute damit umgegangen wird. Weil wir nichts mehr haben als unsere Vergangenheit, flüchten wir uns in jene Tage, als wir gross und grossartig waren, in die Antike. Wir leben immer noch in dieser Vergangenheit.
Wie könnte die Zukunft aussehen?
Wir werden jetzt mit den Deutschen reden und warten müssen, was sie entscheiden. Mit ein bisschen Glück schmeissen sie uns aus der EU und geben uns eine nette Übergangsfrist, eine Schonzeit und einen Schuldenschnitt. Zwar werden dann wie immer eine Menge Leute auf die Strasse gehen und Lärm machen, aber so ist das dann eben. Wir machen also einen Deal mit Europa und verkaufen den als Sieg. Dann die Drachme einführen. Ein Euro gleich 15'000 Drachmen. Eurotrottel aus ganz Europa werden in das ¬billigste zivilisierte Land strömen, und wir können uns dann wieder neue Autos kaufen. Das Defizit bezahlen wir in Drachmen natürlich, und nach ein paar Jahren sitzen wir wieder fett in der Taverne und fangen von vorne an unterzugehen. Aber wir wären das erste Mal auf uns selbst gestellt. Bisher war Griechenland nie wirklich unabhängig. Immer brauchten wir einen Stärkeren, der uns beschützt.
Verwundert Sie, dass dieses Volk von Individualisten so schwach ist im Kol¬lektiv?
Überhaupt nicht. Um zu funktionieren braucht ein Kollektiv die Debatte, die Dialektik. Dialektik, auch so etwas, das wir zwar erfunden haben, aber nicht mehr begreifen. Also, heute funktioniert Dialektik in ¬Griechenland so: Wenn man in ein Dorf geht, ins Kafeneion, ist zwar Politik das Thema, immer, aber alle schreien durcheinander. Und der, der am lautesten schreit, hat das letzte Wort. Sie

n dann noch auf den Tisch und gehen dann, bevor ein anderer anfängt zu reden. Und warum soll das, was die Debattenkultur im Dorf ist, auf einem höheren Level, im Parlament also, anders sein? Warum soll ein Tsipras das verändern können?
Herr Theodoracopulos, es gibt nicht wenige Griechen, die sagen, wenn Oli¬garchen wie Sie oder Niarchos oder Livanos ein kleines bisschen von ihrem Reichtum abgeben würden, dann wäre Griechenland gerettet.
Gibt es die? Da sehen Sie, wie sehr das Volk doch träumt. Ich bin Geschäftsmann, ich investiere nur, wenn ich das Gefühl habe, das bringt was. Und die Leute, die sie aufgezählt haben – die haben zwar in Griechenland angefangen. Aber reich geworden sind sie im Ausland.
Möchten Sie noch was sagen?
Ja gerne. Ihr Schweizer könnt froh sein, dass ihr nicht in der EU seid.
(Basler Zeitung)