Immer wieder mal "kocht" irgendein Getriebethema hoch und wird, auch immer wieder begleitet von Fragen und teilweise auch hanebüchenen Antworten darauf, heftig diskutiert.
Und klar, ich hab' die (Getriebe)-Weisheit auch nicht "mit Löffeln gefressen", im Gegenteil, je mehr ich mich damit beschäftigt habe, desto mehr ist mir klar geworden, wieviel ich über Getriebetechnik eigentlich nicht weiß...
Trotzdem: Nach 35 Jahren Getriebeentwicklung bleibt schon das eine oder andere hängen...
Also hab' ich mal zwei Skizzen gebastelt, mit welchen sich einige grundlegende Zusammenhänge verdeutlichen lassen:
1. Beispiel Kraftfluß Klauengetriebe
Natürlich ist dies kein bestimmtes Getriebe, sondern ein allgemein gehaltener vereinfachter Aufbau, um u.a. den Kraftfluß zu verdeutlichen.
Und natürlich passen die Größenverhältnisse, die Anzahl der Gänge und ähnliches nicht zu modernen Klauengetrieben...
Aus den Beschreibungen und der Beschriftung der Skizze müsste aber eigentlich der Kraftfluss und das Verständnis hierzu einigermassen nachvollziehbar sein.
2. Getriebe-, Leistungs- und Drehmomentdiagramm
Aus einem anderen thread stellte sich die Frage nach dem Stufensprung und seinen Eigenschaften.
Ich habe deshalb mal 3 Diagramme in einem "verheiratet":
Auf dem Getriebediagramm unserer K1600 sind die 6 Gänge über die Drehzahl (X-Achse) und die Geschwindigkeit (y-Achse) dargestellt.
Mit identischen Grössen zeigt die y-Achse links gleichzeitig die Werte für die Leistung (PS) und das wesentlich wichtigere Drehmoment (Nm).
Hier wird jetzt schnell klar, was ein Stufensprung ist:
Je höher man einen Gang bis zum Hochschalten ausdreht, desto größer ist der Drehzahlabfall oder STUFENSPRUNG zum nächst höheren Gang:
Bei einer 1-2 Schaltung bei 7750 1/min z.B. 2050 1/min, wenn man bei 5250 1/min hochschaltet reduziert sich der Stufensprung auf 1300 1/min und bei meinem Fahrstil, nämlich ca. 2750 1/min auf nur noch ca. 750 1/min.
Wenn man sich jetzt verdeutlicht, was im Antriebsstrang bei einer Schaltung vor sich geht, versteht man auch, weshalb ein grosser Stufensprung "Gift" ist für ein Getriebe - dazu am besten nochmal in die Kraftflusskizze reinschauen:
Bei geschlossener Kupplung und eingelegtem Gang besteht eine kraftschlüssige Verbindung von der Kurbelwelle bis zum Hinterrad.
In diesem Zustand kann unter Zug/Last auf einen anderen Gang mit einer anderen Übersetzung nicht gewechselt werden.
Wenn ich im Zug fahre, "hängt" der gesamte Antriebsstrang unter Moment am Motor, wenn ich im Schub unterwegs bin, passiert dasselbe von hinten her:
Der gesamte Antriebsstrang hängt inclusive Motor mit dessen Bremsmoment am "Hinterrad".
Also muß ich das Ganze, um eine Schaltung vornehmen zu können, trennen: Ich betätige die Kupplung!
Alles was in der Skizze bis zur Kupplung rot eingezeichnet ist, beginnt jetzt, da der Motor über seine Verdichtung ja massiv bremst, mit seiner Drehzahl abzufallen, was ja OK ist - der nächst höhere Gang steigt ja mit geringerer Drehzahl wieder ein...
Was nicht OK ist:
Der gesamte, grün eingezeichnete Restantriebsstrang wird ja weiter vom fahrenden Fahrzeug, vom Hinterrad angetrieben:
Es drehen sich ALLE Wellen und ALLE Räder ALLER Gänge - klar, eingelegt ist nur einer, aber der treibt sein Gegenrad auf der Eingangswelle an - dieses ist mit der Welle wie alle Räder darauf formschlüssig verbunden und diese treiben wiederum ihre jeweiligen Losräder auf der Abtriebswelle an - es dreht sich also der „gesamte Salat“…
Mit dem Moment der Kupplungsbetätigung, also dem Trennen des Motors vom Rest des Antriebsstrangs liegt kein Moment am alten Gang an und ich kann diesen herausnehmen - das heißt aber nicht, daß der neue Gang jetzt problemlos eingelegt werden kann - er dreht sich ja auf und mit seiner Getriebeeingangswelle noch viel zu schnell - "irgendjemand" muss ihn abbremsen, damit er über sein Losrad auf der Abtriebswelle durch die Schaltmuffe geräuschlos eingelegt werden kann!
Bei einem synchronisierten Getriebe erledigt dies die Synchronisierung:
Sie bremst/beschleunigt für eine Hochschaltung/Rückschaltung am hochzuschaltenden Gang-Losrad dieses und alle damit formschlüssig sich drehenden Wellen und Räder ab, bis die exakt gewünschte Drehzahl erreicht ist.
Jetzt läßt sich der gewünschte Gang problem- und geräuschlos einlegen…
Nicht so beim Klauengetriebe:
Hier fällt die Drehzahl ab dem Moment des herausgenommenen „alten Gangs“ nur so schnell ab, wie dies die Massen der Getriebeeingangswelle und aller mit ihr formschlüssig verbundenen Räder und deren kämmenden Gegenräder zulassen.
Hier bremst kein System für die Hochschaltung oder beschleunigt Räder und Wellen für eine Rückschaltung:
Wenn wir zu schnell, zu langsam oder mit schlechtem Timing „Kupplung ziehen/schalten/Kupplung lösen“ schalten, dann rumpelt’s…
Ganz einfach deshalb, weil die Schaltmuffe, die formschlüssig mit der Abtriebswelle verbunden ist, in ein Losrad greift, das sich noch zu schnell oder schon zu langsam dreht.
Ganz simples Beispiel:
Beide Hände, die Handflächen vor’s Gesicht gehalten, alle Finger weit gespreizt, das sind die Klauen von Schaltmuffe (die eine Hand), die in’s Losrad (die andere Hand) einfahren soll - wenn die Drehzahl nicht passt, stossen Finger an Finger, pardon, Klaue an Klaue oder die Finger, also die Klauen finden trotz noch unterschiedlicher Drehzahlen ineinander, dann rumpelt’s mehr oder weniger, oder wir haben’s raus und haben den gesamten Schaltvorgang soweit verschliffen, dass alles sanft, weich, ohne Geräusche und damit auch ohne Klauenverschleiß vonstatten geht…
Ja und jetzt wird endgültig klar:
Je geringer die Drehzahl bei der Schaltung vom einen Gang zum nächsthöheren abfällt ( das ist der Stufensprung), desto schneller, einfacher und problemloser läßt dieser sich einlegen.
Mit einer Vielzahl von konstruktiven Möglichkeiten kann man jetzt die Schaltbarkeit beeinflussen:
Einige ganz einfache sind:
- Viele Gänge = kleine Stufensprünge
- Leichte Konstruktion der Innereien = schnelles Abfallen der Drehzahlen
- Möglichst wenig Festräder auf der Getriebeeingangswelle = wenig Drehmasse, die damit schneller an Drehzahl verliert.
Wie immer im Leben (und in der Technik) haben alle Punkte aber auch eine Kehrseite:
Kosten, Konzepteinengung, konstruktive Möglichkeiten, Design und, und, und…
Und um nochmal kurz auf das „Dreier-Diagramm“ zu kommen:
Eigentlich wird hier der gesamte Motorradcharakter der K 1600 deutlich:
Ab 1750 1/min mehr als 100 Nm und 1000 1/min später 150 Nm und bei kommoden 6000 1/min 150 PS - dass ich das noch erleben darf - genial!
Dass mit diesem Motor das Fahrwerk, die Bremsen, der Verbrauch, der Komfort und die Ausstattung jederzeit mithalten können - very impressive!
Naja, und das mit den Getrieben und BMW war ja schon immer eine Zwangsehe - ich hoffe, auch zu diesem Thema in diesem Leben noch „genial“ sagen zu können.
Noch ein letztes vielleicht:
Ich habe versucht, die behandelten Themen möglichst allgemeinverständlich darzustellen.
Also gibt’s natürlich Jungs, die das alles schon wußten, vielleicht auch Jungs, die das dankbar zur Kenntnis genommen haben und sicherlich auch solche, die nur die „Hälfte“ verstanden haben.
Denen sag’ ich:
Ich hab’ auch verdammt lange gebraucht, bis mir relativ einfache Zusammenhänge im Getriebe ( Was dreht sich bei welchem Zustand wie schnell und warum? ) ohne großes Überlegen klar wurden - es sind halt nicht nur 2 Wellen und a paar Rädla…!
Damit wünsch’ ich Euch und Euren Familien jetzt eine schöne Weihnachtszeit und alles Gute zum neuen Jahr!
Und, ganz wichtig, der März ist gar nicht mehr so weit weg…
Gruß Christoph
